POTSDAM / INNENSTADT — Eigentlich wurde in den letzten Jahren immer nur schlecht von »dem Block« im Staudenhof geredet. Dass das siebenstöckige Wohnhaus aus den 1970er DDR-Jahren hässlich, »nur ein Rentnerblock« und für eine Sanierung viel zu teuer sei, nicht ins Bild der neuen alten Mitte passe. Der ostmoderne Klotz soll nun den neuen Palazzi früherer Epochen und kleinteiliger Bebauung Am Alten Markt weichen. Bis dahin läuft zwar noch viel Wasser die Havel hinunter, aber beschlossen ist beschlossen.
Bevor das Gebäude verschwindet, sich der Ort völlig verändert, will ihn Kathrin Ollroge auf besondere Weise vor dem Vergessen bewahren. Die Potsdamer Fotokünstlerin, die momentan den Atelierladen »Zeitraum für Fotografie« in der Lindenstraße 15 betreibt, möchte im kommenden Jahr Bewohner im Haus Am Alten Markt 10 fotografieren, auch ihre Wohnungen oder nur Details, Geschichten sammeln und Schicksale erkunden. Denn es gehe nicht schlechthin um den Bau, sondern um Menschen, die eine Beziehung zu dem Ort hergestellt haben. Ein Ort, der für manchen jahrzehntelang das Zuhause, für Potsdamer Orientierung war. »Ich möchte, dass die Menschen eine Plattform haben, dass sie ihre Meinungen äußern können«, sagt die 41-Jährige. Denn mit der Abrissbirne würden nicht nur Betonwände zerstört. Schon jetzt bangen etliche der älteren Bewohner, noch einmal umgesiedelt zu werden.
In dem etwa 56 Meter langen Haus, das 1971 errichtet wurde und heute der städtischen Gewoba gehört, befinden sich 182 Wohnungen und sieben Gewerbeeinheiten. Neben einer Zwei– und fünf Vier-Raum-Wohnungen gibt es 176 Ein-Raum-Wohnungen. Die meisten Mieter sind Rentner, aber auch Studenten wissen die ideale Innenstadtlage der immer noch bezahlbaren Wohnungen inzwischen wohl zu schätzen.
Kathrin Ollroge ist Mitglied von »Metropolar«, einem losen Zusammenschluss von Künstlern, Architekten, Designern und Medienwissenschaftlern, die sich mit der Ost-Moderne und den architektonischen Veränderungen in der Stadt befassen. Auslöser für ihr Fotoprojekt, das von der Urania und dem Verein Kulturland Brandenburg gefördert wird, war der Abriss des »Hauses des Reisens« in der Friedrich-Ebert– /Ecke Yorckstraße.
Ollroge begann vor Wochen, durch den Staudenhof-Block zu stromern. Sie machte erste Testaufnahmen von Fluren, Geländern und einer Großfamilie. Die meisten Menschen, an deren Türen sie geklingelt hat, waren eher skeptisch und vorsichtig. In die gute Stube habe sie kaum einer gebeten. »Dafür habe ich volles Verständnis«, sagt die Fotografin, die die Menschen »ja nicht überfahren will«. Behutsam wolle sie sich ihnen nähern. Deshalb klingele sie nicht mehr, sondern postiert sich im Flur und versucht so, ihr Projekt ruhig zu erklären, Kontakte zu knüpfen und Vertrauen herzustellen. Fast freundschaftlich heißt es jetzt: »Heute ist wieder die Fotografin im Haus«, erzählt die gebürtige Potsdamerin, die ab Januar schon in zehn Wohnungen ihre Analogkamera auspacken darf.
Nicht jeder der bereitwilligen Mieter habe die Einwilligung fürs Porträtieren gegeben, aber immerhin fürs Fotografieren der Wohnungseinrichtung, sagt Ollroge. Sie gliedert die Arbeit in die Schwerpunkte »Balkon«, weil er die »Verbindung zwischen innen und außen herstellt«, das »Porträt« verbunden mit Schicksalsbeschreibungen und »individueller Wohnraum«. Ende 2011 sollen eine Ausstellung und eine Publikation das Haus und das Leben der Menschen in ihm dokumentieren, kündigt die Künstlerin an.
Etlichen Potsdamern ist Kathrin Ollroge bereits durch ihre sympathischen »Freundschaftsbilder«- und »Puppenhäuser«-Projekte bekannt. (Von Claudia Krause)
Mit dem Leitbautenkonzept verschwindet der prägende Staudenhof-Wohnblock
Das Leitbautenkonzept wurde am 1. September 2010 von den Stadtverordneten beschlossen. Es sieht den originalgetreuen Wiederaufbau des Palazzo Barberini gegenüber dem Stadtschloss und die Wiedererrichtung von sechs originalen Fassaden sowie zwei weitere, eng ans Original angelehnte Fassaden rund um den Alten Markt vor. Es regelt zu dem die Verkehrserschließung des Viertels. Alle Gebäude in den fünf Quartieren, die nicht unter Leitbauten oder –fassaden fallen, können innerhalb bestimmter Vorgaben frei gestaltet werden.
Die Linke scheiterte mit einem Antrag, in dessen Folge der preiswerte Wohnraum Am Alten Markt 10 (Staudenhofblock) erhalten bleiben sollte.
Ab 2013 wird im Zuge des Umbaus der Mitte der Komplex der Fachhochschule verschwinden; die Stadt– und Landesbibliothek wird bereits saniert und soll Ende 2012 fertig sein. Der Staudenhof wird auf dem Niveau des Alten Marktes als Straße zum Platz der Einheit führen. Der Wohnblock an der Ostseite des Hofes fällt voraussichtlich 2016/2017.
Artikel von Claudia Krauseaus der »Märkischen Allgemeinen« vom 28.12.2010 [1]