Als eine Art Flucht nach vorn und Signal der Versöhnlichkeit in Richtung ihrer Kritiker initiierte die Stadtverwaltung das »Werkstattverfahren zur Sicherung der Schwimmbadversorgung in Potsdam«. Mehrere Pressemitteilungen aus dem Büro des Oberbürgermeisters vom November und Dezember 2011 beschrieben die Zielsetzung:
»Thema der Werkstatt soll neben der Frage der Investitions– und der Betriebskosten aber (vor allem, A.d.R.) die Ausgestaltung des Bäder-Standorts Potsdam sein. Welchen Anspruch sollen die Bäder erfüllen? … Welche qualitativen Standards erwarten die Potsdamerinnen und Potsdamer von den zukünftigen Badangeboten in ihrer Landeshauptstadt? Nach Ansicht von Oberbürgermeister Jakobs soll das im Mittelpunkt des Werkstattverfahrens stehen, damit den Bürgern eine qualifizierte Befragung vorgelegt werden kann.« Der Vergleich der drei von der Stadt erarbeiteten Varianten sollte »Grundlage für das angekündigte ergebnisoffene Werkstattverfahren zur Schwimmbadversorgung ab Januar sowie der anschließenden Bürgerbefragung im März 2012 sein.« Später hieß es weiter: »Die anstehenden Entscheidungen über die Zukunft der Potsdamer Schwimmbadversorgung sollen in einem transparenten und ergebnisoffen angelegten Verfahren vorbereitet werden«.
Für das gesamte Werkstattverfahren und die Bürgerbefragung war ein Budget von 190.000 € vorgesehen, das je zur Hälfte die Stadt und die Stadtwerke aufbringen. Mit der Durchführung und Moderation wurde das Malik Management Zentrum aus dem schweizerischen St. Gallen beauftragt. Das für das Verfahren vorgesehene Sensitivitätsmodell nach Prof. Frederic Vester wurde ausgewählt, »da es eine ergebnisoffene Entscheidungsfindung auf der Suche nach der Optimalvariante garantiert.« Grob umrissen soll das Modell dabei helfen, komplexe Problemstellungen zu erfassen, zu analysieren und damit Wege zu einer angemessenen Lösung zu erarbeiten. Dabei ist es wichtig, »das System, in dem das Problem auftritt, zu untersuchen und nicht nur das Problem selbst« (Prof. Frederic Vester). Um von Anfang an dem Verdacht von Intransparenz und Manipulation vorzubeugen, hatte die Stadtverwaltung zu allen Veranstaltungen zwei unabhängige Beobachter des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam eingeladen.
Wie all diesen Ankündigungen und weiteren Stellungnahmen in der Presse zu entnehmen war, wurde viel Wert auf die Formel »transparent, ergebnisoffen und objektiv« gelegt. Wer in der Vergangenheit die politischen Diskurse nicht allzu intensiv verfolgt hatte, konnte also mit Hoffnung und Elan in dieses für Potsdam neue Experiment einsteigen. Dass keine Gelegenheit ausgelassen wurde, die drei stadteigenen Varianten sowie die Vorzüge der einen und die Nachteile der anderen zu benennen, störte vorerst nur die allzeit misstrauischen Dauerkritiker.
Zur Auftaktveranstaltung am 13. Januar war der Hörsaal der Fachhochschule am Alten Markt völlig überfüllt. Neben den angemeldeten Bürgern waren außerdem diverse Bürgerinitiativen, mehrere Experten aus dem Bereich Schwimmbadplanung sowie Vertreter der Stadtverwaltung, der Stadtverordnetenversammlung und der Bäderbetriebe erschienen. Naturgemäß kannte nicht jeder jeden. Um trotzdem einen Eindruck vom Hintergrund der Anwesenden zu bekommen, wurde auf Wunsch aus dem Plenum per Handzeichen signalisiert, wer als »normaler« Bürger und wer als »parteiliche« Person aus dem städtischen/politischen Umfeld teilnehmen würde. Gerade politischen Neulingen erleichterte das die Einschätzung und Gewichtung der einzelnen Wortmeldungen.
Gleich nach dem Start begann der Sinkflug
Mit dem Fortschreiten des Werkstattverfahrens wandelte sich der anfängliche Elan vieler normaler Teilnehmer mehr und mehr in Skepsis. Es würde den Rahmen sprengen, hier alle Ereignisse darzustellen, die zu diesem Unbehagen führten. Deshalb an dieser Stelle nur eine Zusammenfassung:
Wegen der (unerwartet!) hohen Teilnehmerzahl, des großen Diskussionsbedarfs und der immer wieder aufflammenden, eher auf die allgemeine Stadtpolitik bezogenen Wortgefechte zwischen einzelnen Gruppen konnte keiner der wesentlichen Arbeitsschritte ausreichend bearbeitet und abgeschlossen werden. Für die methodische Anschaulichkeit musste deshalb wiederholt auf Teilergebnisse einzelner der insgesamt zehn Arbeitsgruppen zurückgegriffen werden. Das Zusammenführen und Aufbereiten der (unvollständigen) Resultate aller Gruppen war dem Team von Malik Management überlassen. In jedem nächsten Arbeitsschritt wurde das so gewonnene Datenmaterial mit großer Selbstverständlichkeit als Konsensergebnisse aus den vorangegangenen Terminen präsentiert und dann mit diesem weitergearbeitet. Von Termin zu Termin vergrößerten sich so die Irritationen und Enttäuschungen.
Damit war auch der stetige Schwund an Teilnehmern nicht weiter verwunderlich. Kamen zur Eröffnungsveranstaltung noch knapp 300 Bürger, reduzierte sich die Zahl mit Beginn der Gruppenarbeit auf ca. 90. Viele waren nur aus Neugier gekommen oder um ihrem Ärger Luft zu machen und hatten wenig Interesse an der mühseligen Detaildiskussion. In den folgenden Veranstaltungen wurde dann der Rückgang der Teilnehmerzahl nach und nach so groß, dass man zeitweilig einige der Gruppen zusammenlegte, um noch arbeitsfähig zu sein. 50–60 Personen beteiligten sich an den abschließenden Werkstattsitzungen. Dabei ist bemerkenswert, dass offenbar Mitarbeiter etwa der Stadtwerke ihre Teilnahme als bezahlte Arbeitstunden abrechnen durften. Normale Bürger konnten dagegen allenfalls ihre eigene knappe Freizeit opfern. Das Missverhältnis zwischen »parteilichen« und »normalen« Teilnehmern nahm stetig zu.
Ein Ende ohne Punktlandung
Der zeitliche Druck (es mussten inzwischen bereits zwei Zusatztermine angesetzt werden) führte zu einem sich beschleunigenden Arbeitsprozess. Die sehr detailliert ausgearbeiteten Zwischenergebnisse wurden wenig nachvollziehbar immer mehr reduziert und zusammengefasst. Kritische Anmerkungen zu Inhalt und Methode wurden zunehmend durch lautstarke Unmutsbekundungen aus dem Plenum torpediert. Die Moderatorinnen waren zu keiner Zeit in der Lage oder erkennbar Willens, eine neutrale Position einzunehmen. Die Einführung einer respektvollen Gesprächskultur oder die ausgewogene Steuerung des Diskussionsprozesses fanden nicht statt. Und so erreichten die Auseinandersetzungen am Ende gelegentlich den Punkt persönlicher Angriffe durch alle Seiten.
Im Verlauf des Verfahrens wurden zehn Schwimmbadvarianten vorgestellt (von den Stadtwerken, der BI Pro-Brauhausberg und der BI Bürgerforum Potsdam Nord) und, soweit möglich, durchgerechnet. Elf als besonders wirksam erkannte »Kernkriterien« sollten eine genauere Bewertung dieser Varianten erlauben. In der Folge reduzierte sich deren Anzahl bald auf sechs und schließlich auf vier. Neben Kriterien wie Erreichbarkeit, Angebotsbreite oder Baukultur spielten auch die Wirtschaftlichkeit und der Bedarf an städtischen Zuschüssen eine Rolle. Die beiden letzteren konnten jedoch nie von den Werkstattteilnehmern bewertet werden, weil die notwendigen Berechnungen noch ausstanden. Deshalb übernahmen diese Aufgabe Malik Management und die Verfasser der Varianten in Eigenregie. Wie es der Zufall wollte, bekamen die der Stadtverwaltung offenkundig besonders am Herzen liegenden Kriterien dabei zusehends mehr Gewicht. Im Plenum wurde deshalb mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass eine Bevorzugung einzelner Bewertungskriterien aktuell und in der anstehenden Bürgerbefragung nicht akzeptabel sei, weil damit das ganze Verfahren entwerten würde. Die Vertreter der Stadtverwaltung nahmen diese Argumentation vorerst mit betretenem Schweigen zur Kenntnis.
Zwischenfazit: Während der Oberbürgermeister zum Abschluss salbungsvolle Dankesworte fand und seinen Optimismus auf die noch anstehende Erarbeitung des Fragebogens für die Bürgerbefragung lenkte, sahen die meisten normalen Teilnehmer das Verfahren bereits zu diesem Zeitpunkt als gescheitert an. Statt eines Versöhnungsprozesses hatte man am Ende eher das Gegenteil erreicht. Das Misstrauen gegenüber einer offenen, unvoreingenommenen Politik wurde vielmehr bestätigt und weiter vertieft.
von Gunnar Tessin
Lesen Sie dazu…
Teil 3: Der Fragebogen und sein erwartbares Ergebnis